08/2019 Kamut, Dinkel und Grünkern
Infoschrift zu Weizenarten: Beschreibung / Gesundheitliche Aspekte / Rezepte aus der Vollwertküche
Triticum (römischer Name für Weizen) = Gattung, gehört zu den Süßgräsern (Poaceae) und ist mit dem Zuckerrohr verwandt.
Herkunft und Beschreibung
Seit mehr als 10.000 Jahren ist für den Menschen das Getreide als Grundnahrungsmittel nachgewiesen. Aus der Verwandtschaft mit den „wilden“ Vorfahren, den Gräsern, sind wichtige Eigenschaften bei allen Getreiden erkennbar: Große Widerstandskraft, relativ bescheidene Boden-ansprüche, hohe Erträge, Wachstum praktisch in allen Weltregionen, lange Lagerfähigkeit, kompakte Nährstoffspeicher und vielseitige Verzehrmöglichkeiten.
Der Weizen stammt wahrscheinlich aus Mittelasien, wanderte nach dem Osten (China) und nach dem Westen. Im Zweistromland wurde er wohl zur Grundlage des Ackerbaus, aus dem 4. Jahrhundert findet man Weizen- und Gerstenkörner in Ägypten. Durch Handelsbeziehungen wanderte der Weizen von Ägypten nach Kreta, von dort gelangte er über Griechenland nach Europa.
Die Weizenkultur ist wegen des Wärmebedarfs klimatisch begrenzter als die von Roggen oder Gerste. Aber allmählich wanderte der Weizen doch bis zum Norden. Er ist das anspruchsvollste Getreide bezüglich der Qualität des Bodens. Heute kennen wir zahlreiche Sorten der Triticum-Arten, die in ihren Eigenschaften sehr verschieden sind.
Gradmann* unterscheidet folgende Gruppen:
1. Triticum monococcum (Einkorn)
2. Triticum sativum:
a) subspecies dicoccum (Emmer),
b) subspecies spelta (Spelt oder Dinkel),
c) subspecies tenax (echter Weizen, tenax = zäh)
Botaniker gliedern die Weizengattung in drei Abstammungs- oder Zuchtlinien: Einkorn-Reihe, Emmer-Reihe und Dinkel (Weichweizen)-Reihe
Das Wissen um diese botanische bzw. genetische Systematik der Herkunft der Weizenarten und ihre Entwicklung aus den Ursprungsformen, lässt praktische Rückschlüsse zu. Mit bestimmten Sorten können Wachstumseigenschaften und Einsatzmöglichkeiten in der Vollkornküche verbunden werden. Z.B. lässt sich innerhalb der Weizenarten eine küchentechnische Unterscheidung in Mehl- und Grießweizen treffen.
Der sogenannte Fruchtbare Halbmond
Das Ursprungsgebiet des sesshaften Bauerntums lag im Vorderen Orient (heute Naher Osten), entlang der Gebirgsketten zwischen der südlichen Türkei und dem westlichen Iran, im so genannten „Fruchtbaren Halbmond“. Hier kommen die nachweislich zuerst gezüchteten Haustiere Schaf und Ziege sowie die ersten Getreidearten, Emmer-Weizen und zweizeilige Gerste noch heute als Wildform vor.
Kamut – Triticum turgidum L., ssp. polonicum (L.) Thell. (auch Khorasan-Weizen genannt) tetraploider Weizen der Emmer-Reihe
Beschreibung
Die Ackerbauern im fruchtbaren Niltal (vor rund 6000 Jahren) gaben diesem von ihnen kultivierten Weizengetreide den Namen KAMUT („Ka-moot“), ein altägyptisches Wort für Weizen, wörtlich übersetzt „Seele der Erde“. Dieses Getreide hat wahrscheinlich Jahrtausende auf den Feldern der selbstversorgenden Bauern in Ägypten und Kleinasien überlebt. Die wahre Geschichte sowie die exakte botanische Klassifikation sind noch ungeklärt, was aber nichts an der besonderen Qualität dieses Getreides ändert. Seit Jahrtausenden wird dieses Getreide überwiegend in Nordamerika in Regionen mit trocken-heißem Klima nach ökologischen Richtlinien angebaut. Mittlerweile wird es auch im Süden Europas angebaut. Kamut als Urgetreide soll eine Fähigkeit zu hohen Erträgen haben, ohne dass wasserlösliche Mineralsalze und Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden müssen. Dieser echte Grießweizen hat ausgezeichnete Klebereigenschaften und hohe Werte an Nähr- und Vitalstoffen (z.B. Eiweiß bis zu 20 %).
Die Ähren sind dick und mit langen Grannen und festen Hüllspelzen besetzt, die beim Dreschen abfallen. Das Mahlgut der langen, schlanken, gelben Körner zeigt sich grießig und ausgesprochen gelb, etwas weicher als Hartweizen. Da die Pflanze viel Licht und Wärme benötigt, kann Deutschland kein Anbauland für Kamut (und Hartweizen) sein.
Kamut in der Vollwertküche
Kamut ist das erste Getreide, das als Markenartikel vertrieben wurde. Hersteller und Vertreiber des Europäischen Kamut-Verband bieten Kamut in Form von Ganzkorn, Bulgur (geschälter, geschliffener, vorgegart und wieder getrockneter Weizen), Couscous (zu Kügelchen geformtes Mahlgut, vorgegart und wieder getrocknet), Nudeln und anderen Fertigwaren an. – Diese Produkte werden also nicht in der Vollkornküche verwendet.
Mit seiner feinen Kornstruktur, der gelben Farbe und dem vorzüglichen Geschmack ist Kamut für besondere Anlässe und auch in der Umstellungsphase auf Vollwertkost sehr gut geeignet. Das seit einigen Jahren im Naturkost-Fachhandel erhältliche Kamut ist als echter Grießweizen mit den Vorzügen guter Bindefähigkeit bestens für die „tiereiweißfreie“ Vollkornküche geeignet. Kamut kann auch für Brot und Kuchen allein oder kombiniert mit einem Anteil Mehlweizen (z.B. Einkorn) verwendet werden. Getreidefrischkost geschrotet, gekeimt oder geflockt mit Kamut ist sehr schmackhaft.
Mögliche Zubereitungen aus und mit Getreide:
Getreidefrischkost süß/herzhaft aus Vollkornschrot/-mehl, geflockt und gekeimt, warme Getreidespeisen süß/herzhaft, Brotaufstriche, Brötchen und Brote, Kuchen, Torten, Kleingebäck, Waffeln, Suppen, Soßen süß/herzhaft, Nudeln, Klöße, Pfannkuchen, Aufläufe, Süßspeisen.
Alle Weizenarten allein oder kombiniert lassen sich zu sehr schmackhafter Getreidefrischkost zubereiten, entweder geschrotet, geflockt oder gekeimt (Rezept Frischkorngericht siehe Teil I). Als Ganzkorn gegart können Weizenarten gute Beilagen zu Gemüse sein, besonders Dinkel und Kamut.
Der größte Teil der steigenden Getreideernten in Mitteleuropa wird nicht für den direkten Verzehr von Brot oder Teigwaren, sondern vor allem für die Tierfütterung verwendet. Dies stellt eine umweltbelastende, beispiellose und unnötige Verschwendung für die Ernährung der gesamten Weltbevölkerung dar.
Kamut-Vollkornbrot
500 g Weizenvollkornmehl
70 g Kamutmehl
250 ml Wasser
1 Würfel Hefe
1 TL Honig
1 TL unjodiertes Salz,
Butter zum Ausfetten der Kastenform
Die Hefe mit lauwarmem Wasser und Honig auflösen und glattrühren. Weizen- und Kamutmehl mit dem Salz in einer Schüssel vermischen, die aufgelöste Hefe-Mischung dazugeben und alles mit den Knethaken eines Handrührgerätes verkneten. Dann den Teig zugedeckt an einem warmen Ort ca. 45 Minuten gehen lassen und anschließend auf einer bemehlten Arbeitsfläche mit der Hand zusammenkneten. Den geformten Teig in die gefettete Kastenform geben und nochmals 15 Minuten gehen lassen. Die Form in den auf 200 Grad vorgeheizten Backofen stellen und ca. 35 – 40 Minuten backen, herausnehmen, in der Form etwas abkühlen lassen und dann erst aus der Form stürzen.
Dinkel – Triticum spelta L. (hexaploide Abstammungslinie), sechsfacher Chromosomensatz, bespelzt und teils begrannt
Beschreibung
Dieses „Spaltkorn“ muss, bevor man an die speisefähigen Dinkelkerne herankommt, von den festanliegenden Hüllspelzen befreit werden. Nach heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen stammt Dinkel, der nächste Verwandte von Weichweizen, aus dem vorderasiatischen Vielfaltszentrum, dem sogenannten „Fruchtbaren Halbmond“. Älteste Funde wurden in steinzeitlichen Siedlungen des 5. und 6. Jahrtausends v. Chr. entdeckt. In der späten Bronzezeit (1200-800 v.Chr.) kam Dinkel als Beimischung in Einkorn- und Emmer Weizen über den Balkan nach Mittel- und Nordeuropa bis nach Schweden. Dinkel war jahrtausendelang für die menschliche Ernährung sehr bedeutsam, teilweise auch alleinige Brotfrucht. Die ländliche Bevölkerung aß Dinkel überwiegend als Brei, genannt „Habermus“ (Lebensspender). Im 3. Jahrhundert nach Chr. wurde der Dinkelanbau bevorzugt nördlich der Alpen praktiziert, besonders im schwäbischen Sprachraum. Nach und nach verdrängten ihn die ertragreicheren und leichter zu verarbeitenden Weichweizensorten. Geblieben ist der Dinkelanbau in Baden-Württemberg, Teilen der Schweiz und in Belgien. Seit gut einem Jahrzehnt nimmt der Dinkelanbau wieder zu, nicht zuletzt durch die sich ausbreitende biologische Vollwerternährung mit der Getreideküche im Mittelpunkt. Weil vom Dinkel keine eindeutige Wildform bekannt ist, wird er als Bastard eingestuft. Jedoch zeigt er noch typische Merkmale einer Wildform auf: bespelzt, selten auch lang begrannt, im Wachstum anspruchslos und widerstandsfähig gegen klimatische Einflüsse. Dinkel gedeiht auch in Landstrichen wo der Boden karg und das Klima für den Weichweizen-Anbau zu rau ist. Vom Dinkel gibt es im Vergleich zu Weichweizen relativ wenige Neuzüchtungen. Dort wo er angebaut wird, handelt es sich eher um naturnahe Anbaumethoden. Mit seiner Kälteverträglichkeit kann Dinkel als Winterfrucht angebaut werden. Die Pflanzen wachsen relativ langsam auf. Beidseits der Spindel sind in den Ährchen überwiegend je zwei Samen angelegt.
Dinkel in der Vollwertküche
Dinkelgetreide ist ein hervorragender Mehlweizen, dessen Körner ein sehr feines, weiches Mahlgut ergeben. Er eignet sich mit seinen guten Klebereigenschaften ausgezeichnet für die Zubereitung von Brot und Feinbackwaren. Als Schrot, geflockt oder gekeimt lässt sich mit Dinkel sehr wohlschmeckende Getreidefrischkost bereiten.
Dinkelcreme
150 g Dinkel, fein geschrotet 1 geriebener Apfel
500 ml Wasser 2 EL saure Sahne
1 gute Prise unjodiertes Salz 5 EL süße Sahne
2 EL Honig
2 EL Zitronensaft, 1/2 TL Zitronenabrieb
Den feingeschroteten Dinkel mit dem Wasser und dem Salz unter ständigem Rühren aufkochen lassen und 3 – 5 Minuten köcheln lassen. Dann den Topf von der Herdplatte nehmen und kurze Zeit quellen lassen. Die restlichen Zutaten untermischen und in eine Schüssel füllen. Dieses Dessert kann sowohl warm als auch kalt serviert werden.
Variationen: Statt des Apfels können auch andere Früchte verwendet werden. Die Sahne kann geschlagen separat dazu gereicht werden. Die Creme kann nach Geschmack mit geriebenen Nüssen oder Mandeln bestreut werden.
Grünkern
Wenn Dinkel im milchreifen Zustand geerntet wird (ca. 3 -4 Wochen vor der Vollreife), anschließend gedarrt und dabei von ca. 40 % auf unter 15 % Restfeuchte im Korn mittels Heißluftzufuhr heruntergetrocknet wird, entsteht Grünkern. Bei der Trocknung entsteht ein sog. Dextrinierungsvorgang (Vermalzung), der dem Grünkern den arteigenen, würzigen Duft und Geschmack verleiht. Die Trockenluft zum Darren wird über einem Buchenholzfeuer angesaugt (Früher geschah das Darren in großen Wannen über Buchenholzfeuer unter ständigem Umschaufeln bei 110 – 150 Grad). Seit über 300 Jahren wird in Süddeutschland Dinkel im unreifen Zustand geerntet, um daraus Grünkern werden zu lassen. Mit ziemlicher Sicherheit zwang einst die Not, die die Menschen als Folge ungünstiger Witterung oder kriegerischen Einwirkung zum Bergen und Verwerten der unreifen Frucht. So entstand der Grünkern durch die Überlebensnot und wurde zu einer bis heute geschätzten Spezialität. Obwohl also Grünkern kein ausgereiftes, keimfähiges Getreide darstellt, und ihm auch die Backfähigkeit fehlt, ist er uns in der Vollkornküche willkommen für die Zubereitung von Soßen, Suppen, Klößchen, Brotaufstrichen u.v.m.
Grünkernaufstrich
100 g Grünkern, gemahlen
200 g Gemüsebrühe
3 Zwiebeln, mittlere Größe
90 g Butter (ca. 1 EL wird hiervon für die Zwiebeln benötigt)
4 EL Majoran
1 EL Thymian
Koriander, Muskat, Pfeffer,
unjodiertes Salz und Kräutersalz nach Geschmack
Grünkern mahlen, mit der Gemüsebrühe zu einem zähen Brei verrühren und ca. 1 Stunde abgedeckt quellen lassen. Zwiebeln schälen, kleinschneiden und kurz in Butter andünsten. Die Zwiebeln zusammen mit den übrigen Zutaten in den Grünkernbrei geben, alles gut vermischen und in ein Schraubglas füllen.
Allgemeine Hinweise
Vollkorndefinition:
- Getreide der jeweiligen Art und Sorte sollte zu 95 – 98 % keimfähig sein
- frisch gemahlen als Vollkornschrot (grob), als Vollkornmehl (fein) oder geflockt ohne Lagerung sofort verzehrt/verarbeitet
- aus frisch gemahlenen Vollkornschrot/-mehl wird „echtes“ Vollkornbrot gebacken
- Getreide aus ökologischer Herkunft
Wir sollten weder pestizidbehandelte noch gentechnisch veränderte Getreidesorten (gilt natürlich auch für Gemüse und Obst) und auch keine Nahrung, die Gentechnikanteile enthält, verzehren.
Es ist grundsätzlich sehr zu begrüßen, wenn Urgetreide im ökologischen Anbau rekultiviert wird und so seine genetischen Anlagen erhalten bleiben. Seit Jahrzehnten beobachten wir im Pflanzenbau die umgekehrte Entwicklung, nämlich die Verarmung und Gleichmacherei innerhalb der wenigen Hochleistungssorten, den sogenannten „Weltwirtschaftspflanzen“ bis hin zur Patentierung von gentechnisch veränderten Pflanzen. Dank an alle die Öko-Betriebe, die sich der Vermehrung alter Pflanzenarten annehmen – und dies trotz Mehrarbeit und weniger Erlös im Verhältnis zu den Hochleistungssorten.
Tierisches Eiweiß ist in größeren Mengen enthalten in: Fleisch, Wurst, Fisch, Eiern, Milch, Quark, Joghurt und Käse. Bei zu hohem Verzehr dieser denaturierten (durch Erhitzung entsteht eine veränderte Molekularstruktur des Eiweißes) als auch artfremden tierischen Eiweiß-Produkten, die der Organismus als Fremdkörper „behandelt“ wird der Eiweißstoffwechsel, der auch mit anderen Stoffwechselvorgängen im Organismus verbunden ist, empfindlich gestört. Daher ist es empfehlenswert, die o.a. Produkte möglichst zu reduzieren oder im Krankheitsfall auch zu meiden. Beim Backen ist dies z.B. durch die Verwendung des richtigen Mehls möglich.
Phasen der Kornreifung
Milchreife: Der Feuchtigkeitsgehalt in den Samen macht ca. 50 % aus, die Einlagerung von Eiweiß ist beendet.
Gelbreife: Der Feuchtigkeitsgehalt ist auf 30 – 40 % reduziert, die Inhaltsstoffe sind fester geworden, die Einlagerung der Stärke ist abgeschlossen.
Vollreife: Der Feuchtigkeitsgehalt ist unter 20 % abgesunken, die Ernte kann beginnen.
Totreife (Lagerreife): Der Feuchtigkeitsgehalt beträgt jetzt ca. 13 %, die Körner zeigen sich hart-spröde und lösen sich aus der Ähre. Das Korn ist lager- und mahlfähig. Die volle Backfähigkeit der Brotgetreide wird allerdings erst 6 – 8 Wochen nach der Ernte erreicht.
Ein Getreidekorn enthält durchschnittlich 70 % Stärke, 11 % Eiweiß, 2 % Fett, 2,5 % Faserstoffe und viele Vitalstoffe wie Vitamine (das in der Schale enthaltene Vitamin B1 ist für den Abbau von Glukose im Kohlenhydratstoffwechsel unentbehrlich!), Mineralstoffe, Spurenelemente, ungesättigte Fettsäuren und Enzyme.
Aus Weizenkörnern lässt sich auch Malz für die Herstellung von Weizenbier (Weißbier/Bier), Kornbranntwein (Whisky) oder reiner Alkohol (Ethanol) gewinnen. Als „Weizengras“ wird der Saft von Keimlingen des Weizens im Handel angeboten. Das ebenfalls angebotene Weizenkeimöl mit seiner niedrigen Oxidationsstabilität hat einen geringen Ölgehalt und besteht zu über 60% aus mehrfach ungesättigten Fettsäuren.
Gesundheitliche Aspekte
Vollkorn (in Form von Frischkorngerichten und Vollkornbroten) bildet die Grundlage zur Erhaltung und Wiedergewinnung der Gesundheit. Es ist somit unentbehrlich. Der besonders im Vollgetreide vorkommende Vitamin-B-Komplex (in den Randschichten des Korns) hat eine zentrale Bedeutung für die Stoffwechselvorgänge in unserem Organismus. Ohne Vollkornbrot und Frischkorngerichte ist die Versorgung mit dem wichtigen Vitamin B1 (Thiamin oder wegen seiner Bedeutung für das Nervensystem auch Aneurin genannt) nicht ausreichend. Kein anderes Lebensmittel enthält auf so kleinem Raum so viel Vitamin B1 wie der Getreidekeim. Für die ungestörte und reibungslose Verarbeitung der Stärke im Getreidekorn benötigt der Organismus mehrere Vitamine des B-Komplexes und andere Vitalstoffe, die das volle Korn auch ebenfalls beinhaltet. Der Traubenzucker durchläuft bei seinem Abbau zu Kohlensäure mehrere Zwischenstufen. Dieser Abbau von Stufe zu Stufe kann nur bei Anwesenheit verschiedener Vitalstoffe und Vitamine erfolgen, wobei das Vitamin B1 die größte Rolle spielt. Durch die Entfernung des Keims und/oder der Schale fehlen B1 und die meisten anderen Vitalstoffe, so dass es beim Verzehr von Auszugsmehl-Produkten zu erheblichen Störungen im Stoffwechsel kommt, deren hierdurch verursachte Beschwerden/Krankheiten sich oft erst nach 20 – 30 Jahren zeigen (Forschungen Prof. Kollath). Auch die beiden englischen Ärzte Cleave (1906-1983) und Campbell belegten die Entstehung von ernährungsbedingten Zivilisations-krankheiten durch jahrzehntelange, vitalstoffarme Mangelkost (raffinierte Kohlenhydrate in Form von Fabrikzucker und Auszugsmehlen). Dieses Wissen ist bereits seit langem bekannt (einige Forscher: Heubner 1843-1926, Herter 1865-1910, Bircher-Benner 1867-1939), wird aber von der Nahrungsmittelindustrie, deren Lobbyisten und auch der Pharmaindustrie penetrant ignoriert. Denn mit den verarbeiteten, länger haltbar gemachten, schnell zuzubereitenden (Pulver in Wasser rühren oder vorgefertigte Produkte nur noch zu erwärmen) Nahrungsmitteln, die im Gegensatz zu den Lebensmitteln so gut wie keine Vitalstoffe (biologische Wirkstoffe) mehr enthalten, ist viel einfacher Profit zu machen. Die Politik und die Medien machen dabei ungeniert mit, da auch sie Vorteile davon haben.
Das Klebereiweiß Gluten hat im Getreidekorn ebenso große gesundheitliche Bedeutung wie die Schale und der Keim. Obwohl das Vollkornbrot eine viel bessere Verdaulichkeit gegenüber dem Auszugsmehl hat, weil es durch die Funktion seiner vorhandenen Vitalstoffe eine kürzere Verweildauer im Magen bewirkt, sagen manche Menschen, dass sie es nicht vertragen würden (die Bezeichnung „Gluten-Allergie“ ist nicht zutreffend). Dies liegt aber nicht am Vollkorn, sondern ist von der Zusammensetzung der übrigen Nahrung abhängig. Alle Nahrungsmittel, die mit künstlichen Fabrikzuckerarten gesüßt sind, bewirken bei empfindlichen Menschen, dass Beschwerden auftreten können, falls auch Vollkornbrot gegessen wird. Das heißt, dass Fabrikzucker und manchmal auch gekochtes Obst und Säfte vermieden werden müssen, falls Vollkornbrot nicht vertragen wird. (Fabrikzucker ist leicht durch süße Früchte, Honig oder Trockenfrüchte zu ersetzen, die im Gegensatz zu Fabrikzucker natürliche Kohlenhydrate und auch die erforderlichen Vitalstoffe enthalten. Bei vielen Lebensmitteln ist ein zusätzliches Süßen gar nicht nötig.)
Bei glutenfreien Spezialprodukten werden vom Hersteller mehr Fett (minderwertige Industriefette) und Fabrikzucker untergemischt, um den Mangel an Getreide-Inhaltsstoffen zu ersetzen. Einem glutenfreien Kuchen werden für seinen Zusammenhalt (als Ersatz für Gluten) Zusatzstoffe wie Polysaccharide (Mehrfachzucker) zugefügt. Ein fades Reis-Brot, das natürlicherweise kein Gluten enthält, wird mit Öl, Emulgatoren, Fabrikzucker und Salz aufgepeppt, damit es mit Roggenbrot mithalten kann. Wegen des höheren glykämischen Indexes der Ersatzprodukte scheint das Risiko für Übergewicht sogar anzusteigen, berichten italienische Forscher 2016 in der Fachzeitschrift „Clinical Nutrition“. Zudem mangelt es dieser glutenfreien Kost an den Vitaminen D, B12, Folsäure und Mineralien, während andere Inhaltsstoffe bedenklich sind. Eine „Ansammlung von Schwermetallen bei Menschen während einer glutenfreien Ernährung“ stellte ein amerikanisches Team dieses Jahr in der Fachzeitschrift „Clinical Gastroenterology and Hepatology“ fest. Im Blut von gesunden Gluten-Verächtern fanden sich erhöhte Konzentrationen von Blei, Quecksilber und Arsen.
Eine echte Glutenunverträglichkeit besteht nur bei der eindeutig diagnostizierten Darmkrankheit Zöliakie, deren Ursache die jahrelange vitalstoffarme Zivilisationskost ist (nicht das Gluten!).
Aufbewahrung von Brot
Selbstgebackenes Sauerteigbrot in ein Geschirrtuch einwickeln und dann in eine Plastiktüte (wiederverwendbar, kompostierbar) stecken und nicht fest verschließen. Im kühlen Raum (ideal sind 15 Grad) gelagert, hält das Brot bis zu 3 Wochen. Für kurzfristige Aufbewahrung reicht es, das Brot mit der Schnittfläche auf ein Holzbrett zu stellen und mit einem Geschirrtuch abzudecken.
Lagerung von Getreide im Haushalt
Die Lagerung/Aufbewahrung von Getreidekörnern (von einer Menge bis zu 10 kg) sollte kühl und trocken in großen Gläsern, in Jute- oder Papiersäcken, die offen stehen, erfolgen. Wichtig ist, dass die Körner regelmäßig (alle 3 – 6 Tage) bewegt werden. So können wir vor Kornkäfern, Mehlmotten und -milben verschont bleiben. Für größere Mengen, direkt vom Erzeuger bezogen, ist es besser, wenn das Getreide erst zwei bis drei Monate nach der Ernte im Haushalt gelagert wird. Dann ist die Nachreife der Samen und die damit verbundene Backfähigkeit des Getreides erreicht. Erforderliche Auskünfte hierzu erhalten wir vom Bauern.
Einteilung der Getreidesorten in der Vollwertküche:
Mehlweizen: Hohe Stärke-/Mehlgehalte
Einkorn, Dinkel, alle Weichweizensorten
Grießweizen: Hohe Bindefähigkeit, gut für tiereiweißfreie Vollwertkost
Emmer, Hartweizen, Kamut
Breigetreide: Alleine nicht backfähig
Gerste, Hafer, Hirse, Reis, Mais,
Brotgetreide:
Einkorn, Emmer, Dinkel, Kamut, Hartweizen, Weichweizen, Roggen, Tritikale (Kreuzung zwischen Weizen und Roggen)
Bedeutung der Typenbezeichnungen bei verpackten Weizenmehlen
Die Typenbezeichnung gibt an, wie viele hitzebeständige Mineralstoffe (zurückbleibende „Asche“) bei der Verbrennung von Mehl in Gramm in wasserfreiem Mehl enthalten sind. Beispiel: Weichweizen-Mehltype 405 enthält ca. 405 g Rest-Aschegehalt im Mehl. Je höher die Typenzahl, desto entsprechend höher zeigt sich der Rest-Aschegehalt im Mehl. Alle gewerblichen Typenmehle sind keine Vollkornmehle.
Der Ausmahlungsgrad gibt den Gewichtsanteil des beim Vermahlen von Getreide gewonnenen Mehls an. Vollkorn entspricht einem Ausmahlungsgrad von 100 %, da keinerlei Absonderungen erfolgen. Je geringer der Ausmahlungsgrad, desto größer sind die Verluste an Vitalstoffen.
Weizenmehl Typ 405 hat den niedrigsten Ausmahlungsgrad. Es besteht aus den bei der Vermahlung zuerst angefallenen Mehlen (= Ausmahlungsgrad 0 – 40), ist gut backfähig und wird „Auszugsmehl“ genannt, weil es vorweg aus der Mitte des Stärkekerns „ausgezogen“ wird. Mehle der Type 550 stellen einen geringfügig höheren Auszug dar.
Mehl der Type 812 wird als „Vollmehl“ bezeichnet. Es ist das müllereitechnisch gewinnbare Mehl ohne größere Schalenanteile (= Ausmahlungsgrad 0 – 73) und ist im Verhältnis zu den Typen 405/550 etwas weniger gut backfähig.
Mehle der Typen 1050, 1200 und 1600 sind mineralstoffreicher (= Ausmahlungsgrad 40 – 80). Ihnen fehlt das kleberhaltige Mehl aus der Kornmitte. Sie sind also nicht gut backfähig.
„Backschrot“ Type 1700 ist das durchgemahlene Korn, bei dem nur der Keimling vorher abgetrennt wurde.
„Vollkornmahlerzeugnisse“ werden aus dem vollen Korn mit noch anhaftender Keimanlage ermahlen. Vollkornmehle (fein) und Vollkornschrote (grob) werden nicht als Type geführt.
Jedes Auszugsmehl, gleichgültig mit welcher Typen-Zahl, ist ein minderwertiges Produkt und wird in der Vollwertküche nicht verwendet, gleichgültig, ob es aus konventionellem oder biologisch/ökologischem Anbau des Getreides stammt.
Inhaltsstoffe des vollen Getreides
Erläuterungen zu einigen Getreideprodukten
Bulgur- Weizen: Aus Weichweizen oder Dinkel, geschältes, geschliffenes Ganz- oder Bruchkorn, wird vorgegart und wieder getrocknet. In tropischen und subtropischen Ländern ist es ein bevorzugtes Nahrungsmittel, das gut lagerfähig und schnell zuzubereiten ist. – Kein Vollkorn
Couscous: Couscous wird aus Weich- und/oder Hartweizengrieß, aus Hirse oder einer Mischung dieser Getreide hergestellt. Das Mahlgut wird zu Kügelchen gepresst, im Wasserdampf vorgegart, wieder getrocknet und in den Handel gebracht. Später kann Couscous nach dem Aufquellen in Wasser gegart oder in Öl ausgebraten werden. Dieses nordafrikanische Nationalgericht ist in den heißen Ländern lange lagerfähig und rasch zubereitet. – Kein Vollkorn
Graupen: Spelzgerste geschält, geschliffen, als „Rollgerste“ vom Keim und den Randschichten befreit. Übrig bleibt der Stärkekern oder weiße Stärkekugeln = Graupen in kleiner oder großer Formung. In zerkleinerter Form wird Grütze daraus. Sie sind auch aus anderen Getreidearten angeboten. – Kein Vollkorn
Getreideflocken: Auch sie werden teilweise „mit Randschichten und Keim als Vollkorn-Flocken“ angeboten. Vorgefertigte Flocken können niemals echte Vollkornflocken sein, sie werden gedämpft, um lange haltbar zu sein. – Kein Vollkorn
Grieß: Es ist ein müllereitechnischer Begriff für die beim Mahlen entstehenden Teilstückchen des Getreidekorns – hauptsächlich von Hartweizen und Dinkel. Es sind die harten Kornbestandteile, befreit von staubförmigen Mehlpartikeln, die einen Grieß ausmachen. Im Naturkostfachhandel wird Grieß aus Dinkel und Hartweizen angeboten, als „Vollwert-Grieß mit Randschichten und ohne Keim“ und als „Vollkorn-Grieß mit Randschichten und mit Keim“. Beide Angebote – verpackt in Glaspapier – tragen ein Haltbarkeitsdatum von mehreren Monaten; das heißt Hitzekonservierung ist vorausgegangen. – Kein Vollkorn
Die Ernährung ist nicht das Höchste im Leben,
aber sie ist der Nährboden, auf dem das Höchste
gedeihen oder verderben kann.
Dr. M.O. Bircher -Benner
Quellenverzeichnis:
Dr. med. M. O. Bruker, „Unsere Nahrung-unser Schicksal“, emu-Verlag 1986, 47. Auflage
Waltraud Becker, „Korngesund – Das Getreide-Handbuch“, emu-Verlag 2003
Prof. Dr. Werner Kollath, „Die Ordnung unserer Nahrung“, Hippokrates Verlag 1977, Haug Verlag ab 1998
Waltraud Becker, „Lust ohne Reue“, emu-Verlag 1996
Waltraud Becker/Ute Olk, „Leitfaden für Hobbybäcker“, emu-Verlag 2014
Ilse Gutjahr, „Das große Dr. M. O. Bruker Ernährungsbuch“, emu-Verlag 1996
Ilse Gutjahr/Erika Richter, „Streicheleinheiten“, emu-Verlag 1995
Fachmagazin „Der Gesundheitsberater“ Juli 2015, Artikel „Der Weizen ist an allem Schuld“, Ilse Gutjahr-Jung
Fachmagazin „Der Gesundheitsberater“ Januar 2019, Artikel „Ungesunder Verzicht“ Michael Brendler (Sonntagszeitung FAZ v. 18.11.18 (Wissenschaft Seite 64 – Ausgabe D1, D2,B, M, R)
Fachmagazin „Der Gesundheitsberater“ Juni 2013, Artikel „Granatrotkornweizen“ Waltraud Becker
Prof. Dr. Heinz Brücher, „Die Sieben Säulen Der Welternährung“, Verlag von Waldemar Kramer, Frankfurt am Main, 1982
* Gradmann, Rob., Jena 1909, „Der Getreideanbau im deutschen und römischen Altertum“, Costenoble, Jena 1909
Autorin Text und Zeichnungen: Anna Telöken, Gesundheitsberaterin GGB
www.gesundheitsberatung-teloeken.de